Das Hussitentum besetzt in der tschechischen Geschichte mehr als ein Jahrhundert. Diese Epoche kann man mit Jahreszahlen 1371 und 1485 abgrenzen. Wahrscheinlich im Jahre 1371 wurde Magister Jan Hus geboren (sein Geburtsdatum kennen wir nicht genau). Er stand an der Spitze der Universitätsmagister, die eine radikale Reform der damaligen eine tiefe Krise erlebenden Kirche bestrebten. Dafür erlitt er als Ketzer am 6. juli 1415 in Konstanz den Feuertod. Die Hussitenepoche gipfelte im Jahre 1485, wann der sog. Kuttenberger Religionsfrieden verkündigt wurde, wudurch die böhmmische Reformation gekrönt wurde.

Die Hussitenrevolution ist ein unübersehbares Phänomen nicht nur der tschechischen, sondern auch europäischen Geschichte des Spätmittelalters. Die neue Geschichtsschreibung nennt die Hussitenrevolution „Revolution vor Revolutionen“. Es war wirklich die erste große Revolution in der Geschichte, die im Jahre 1419 mit dem Prager Fenstersturz begann. Am 30. Juli jenes Jahres blieb eine bewaffnete Menschenmenge mit Jan Želivský, dem Priester in der Kirche der Jungfrau Maria Schnee an der Spitze, am Neustädter Rathaus endlich stehen und verlangte die Auslieferung der gefangengehaltenen Hussiten. Nachdem diese resolute Anforderung abgelehnt worden war, drang die Menschenmenge ins Rathaus ein und die Ratsherren mit dem Bürgermeister an der Spitze wurden von den hussitischen Rebellen zum Fenster nach unten auf aufgerichtete Waffen hinausgeworfen. Es war ein Signalzeichen zur Eröffnung der Revolution, das mit der Erstürmung der Bastille, wodurch später die Große Französische Revolution ausbrechen wird, vergleichbar ist.

Eine Revolution ohne Progamm hat keine große Aussicht auf Erfolg. Deshalb deklarierten die Hussiten schon in weniger als einem Jahr nach dem Prager Fenstersturz ihr Programm, das die sog. Vier Prager Artikel bildeten. Der erste Artikel bezog sich auf die Freiheit für den Abendmahlkelch (d.h. die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, also in Brot und Wein nicht nur an Priester, sondern auch an alle getauften Laien), der zweite Artikel forderte die Freiheit für die Predigt, der dritte die Freiheit von säkularer Kirchenherrschaft und der vierte verlangte das Strafen der offenkundigen Sünden und Todsünden. Dieses Programm zieht sich in verschiedenen Zusammenhängen durch die ganze Hussitenepoche hindurch, wie ein roter Faden. Über das hussitische Programm wurde auch auf dem denkwürdigen Konzil in Basel (1433) verhandelt. Die Aufnahme der Iglauer Kompaktaten (1436) wurde zum Ergebnis dieser Verhandlungen, in denen das hussitische Programm in der Form eines beiderseitig akzeptabelen Kompromisses verankert ist.

Man kann sagen, dass der Revolutionsprozess im Jahre 1434 mit der Schicksalsschlacht von Lipan beendet wurde, in der die am meisten radikale Bestandteile des Hussitentum (Taboriten und Waisen) von Koalitionstruppen (= mit weniger radikalen Hussiten verbundene Katholiken) besiegt wurden. Mit der Schlacht von Lipan endet zwar die hussitische Revolution, aber nicht die hussitische Epoche, wie manche bis heute ganz fälschlich glauben. Diese Epoche entwickelt sicht weiter u.a. unter der Regierung des hussitischen König Georg von Podiebrad (1458 – 1471) und gipfelt in dem schon genannten Kuttenberger Religionsfrieden.

Unter „böhmmischer Reformation“ verstehen wir einen langfristigen Prozess, der nach einer grundlegenden Reform der mittelalterlichen Kirche strebte. Diesen Reformprozess eröffnete eine Gruppe von Gelehrten an der Prager Universität mit Magister Jan Hus an der Spitze, der der Lehre John Wiclifs folgte. Die böhmmische Reformation erreichte nach langen Peripetien mit der Verkündigung des Religionsfriedens zu Kuttenberg ihren Gipfelpunkt. Das ist ein Dokument, das Errungenschaften der Hussitenrevolution umfasst, die mit Blut der hussitischen Gottesstreiter erkauft wurden. Die Annahme des Kuttenberger Religionsfriedens war eine wirklich epochale und überzeitliche Tat. Für 31 folgende Jahre bestätigte er die Abkommen mit dem Basler Konzil (Kompaktaten) und garantierte vor allem Glaubensfreiheit, anders gesagt Gewissensfreiheit. Jeder konnte sich auf Grund seiner freien Wahl zur katholischen oder hussitischen Konfession bekennen und niemand durfte es ihm wehren. Mit dieser Glaubensfreiheit schritt die böhmmische Reformation energisch in die Neuzeit und deswegen wird sie auch als „Reformation vor Reformationen“ bezeichnet – der weitere Grund für diese Bezeichnung ist die Tatsache, dass die böhmmische Reformation ein ganzes Jahrhundert vor der europäischen Reformation mit zwei ihren bedeutendsten führenden Persönlichkeiten Martin Luther und Johannes Calvin eröffnet wurde.

Die böhmmische Reformation brachte unter anderem die Entstehung der Brüder Unität, der ersten Kirche des Reformationstyps. Das kann man für einen bedeutungsvollen Beitrag der tschechischen Nation zum europäischen Geisteserbe halten, wodurch können wir uns mit anderen Nationen mutig vergleichen, wie z.B. die englische und französische Nationen sind.

Das Hussitentum kann man außer acht lassen, ignorieren, sogar auch geringachten, aber es ist nicht möglich es aus unserer Geschichte auszustreichen. Das kommustische Regime fasste das Hussitentum vor allem so, wie die marxistische Geschichtsschreibung es präsentierte. Diese Lobauffasung von hussitischen Kämpfen als Klassenkämpfen gegen Feudalausbeuter ist heutzutage nicht nur überwunden, sondern auch unannehmbar. Man kann sie nämlich für ein irriges Extrem halten. Das andere Extrem ist eine ganz entgegengesetzte, nur negative Aspekte des Hussitentums betonende Ausgangsstellung. Diese negative Aspekte waren sicher auch nicht vereinzelte Fälle gewesen. Diese verurteilende Tendenzauffassung des Hussitentums ist nich neu, es gab sie schon früher und es gibt sie sehr oft auch heute.

Eine objektive, ausgewogene, unabhängige, aber auch kritische Bewertung des Hussitentums sollte sich irgendwo mitten in diesen Extremen befinden und sollte aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung ausgehen. Das Streben nach Objektivität und Ausgleich sollte aber nicht kramphaft und um jeden Preis sein, sonst verliert es die Punze der Glaubwürdigkeit. Wenn man das Hussitentum kritisch und womöglich objektiv bewerten will, sollte man sich ab und zu eine scheinbar kindische Frage stellen: „Wer hat den Anfang gemacht?“

Diese Web-Seiten sind nicht darum entstanden, weil ihre Autoren selbst die Bedeutung der Hussitenepoche klar machen brauchen, sondern sie sind gebildet worden, um die Web-Seiten zu errichten, auf denen alle Informationen gesammelt werden, die für die Einsicht in die Bedeutung der Hussitenrevolution in der tschechischen Geschichte nötig sind. Die Web-Seiten über das Hussitentum können auf diese Weise auch zu einem kleinen Beitrag zum Verständnis der Philosophie unserer Nationalgeschichte werden.